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Postfeminismus und antifeministischer Backlash

POSTSEXISMUS IST DAS LEIDER NICHT

Postfeminismus und Neosexismus

Katharina Voß





In diesem Text möchte ich versuchen, ein Phänomen zu beschreiben und sichtbar zu machen, das ich als modernisierten Sexismus (auch in Verschränkung mit modernisiertem Rassismus) bezeichne: „Neosexismus“ oder postfeministischer Sexismus – Postsexismus ist das leider nicht. Mein Untersuchungsgebiet sind hauptsächlich Werbeplakate bzw. –kampagnen der letzten 1-2 Jahre, aber ich beziehe mich auch (implizit) auf andere mediale Orte, an denen Postfeminismus und Neosexismus (re-)produziert und verhandelt werden.

Was neosexistische Bilder charakterisiert, ist ein deutlich in der Gegenwart angekommener Style und die Bezugnahme auf emanzipative Themen und Bilder bzw. die Teilhabe an ihnen und ihre antiemanzipative Umdeutung. Neosexismus kennt feministische Forderungen gut und speist sich aus ihnen, statt sie offensiv abzulehnen oder zu ignorieren, und deswegen operiert er u.U. subtiler als klassischer Sexismus, mit dem feministische Kritik besser vertraut ist (den es immer noch gibt, und der natürlich immer noch zu kritisieren ist).

Wenn man den Eindruck hat, daß sexistische Darstellungen sich gerade ändern, macht es Sinn, zu fragen, was denn der Feminismus gerade so macht, wie es ihm geht und wie er verhandelt wird. Sexismus und Feminismus sind ja sozusagen die Fronten im Kulturkampf um Bilder von Weiblichkeit. Wenn es um die Frauenbewegung und den Feminismus geht, fällt regelmäßig das Stichwort „Postfeminismus“: wir leben im Zeitalter des Postfeminismus und so weiter. Wer mit diesem Wort operiert, kann zeigen, daß er oder sie irgendwie das Wissen um Feminismus verinnerlicht hat, und sich gleichzeitig davon abgrenzen. (In universitären Zusammenhängen wird Postfeminismus auch unter positiven Vorzeichen diskutiert, was durchaus sinnvoll sein kann, hier aber nur kurz Thema ist.)

Im Folgenden versuche ich, die Herkunft des Begriffs zu klären und zu untersuchen, was das Terrain ist, auf dem er gerade verhandelt wird: Zeitungsdiskurse, Populärwissenschaft, Popkultur. Anschließend werde ich zentrale Motive herausarbeiten und sie auf Bilder in aktueller Werbung anwenden. Den Schluß sollen ein paar thesenhafte Überlegungen zum Subjekt des Postfeminismus bilden.




I. WAS IST POSTFEMINISMUS?


Postfeminismus ist ein diffuser Begriff, der seit einiger Zeit an verschiedenen Ecken und Enden des massenmedialen Feldes auftaucht (von poppig bis konservativ: sogar die Modernisierungsfeinde, die gegen jedes „post-x“ laut aufschreien, sind mit ihm einverstanden, wenn es um Feminismus geht), und von dem niemand so richtig weiß, was er bedeutet (aber es scheint so, als müßten oder könnten es alle wissen). Er ist, wie andere Wortneuschöpfungen, potentiell Träger verschiedenster Bedeutungen und äußerst flexibel / strategisch einsetzbar, also gut geeignet zur Mythenbildung (wie der Begriff der political correctness, der hier mitverhandelt wird). Ein Beispiel für klassische Mythenbildung ist die Verwendung des Begriffs Postfeminismus, um das vermeintliche ‚Ende des Feminismus’ zu benennen.

Dieser Postfeminismus (um den es hier geht, der ein ‚nach dem Feminismus’ bedeutet), ist:
die Spice Girls, Bridget Jones, Sex & the City, Katja Kullmanns Generation Ally; die massive ‚Rückkehr’ zu weiblichen Modestyles (in den 90er Jahren und wieder verstärkt in den letzten zwei Jahren), die Leugnung struktureller Geschlecherungerechtigkeit durch junge Erfolgsfrauen bei gleichzeitigem ‚selbstbewußten’ und ‚ironischen’ Einsatz der sogenannten ‚weiblichen Waffen’, Girlies (als das traurige Überbleibsel von riot grrrls) und insgesamt bestimmt nicht der Postfeminismus, den Nancy Fraser gemeint hat, als sie sagte: „In the era of post-patriarchy, I will be a post-feminist.“ Eher der Postfeminismus, den die Brigitte gemeint hat, als sie druckte: „So schön kann Postfeminismus sein: Sängerin SKIN von Skunk Anansie singt jetzt romantische Liebeslieder.“ Im vermeintlichen Zeitalter des Postfeminismus ist Sexismus nicht zu Postsexismus geworden.

Die AkteurInnen kommen aus verschiedenen und teilweise gegnerischen Spektren: im postfeministischen Diskurshype treffen sich der hauptberufliche Maskulinist Matthias Matussek und (zu optimistische) Pop-Post-Feministinnen (Kevin Blechdom, Masha Qrella, Sarah Kuttner, frühe weibliche Techno-DJs), alt- und neokonservative, exfeministische oder eigentlich feministische PropagandistInnen und privilegierte junge Erfolgsfrauen, die strukturellen Sexismus nicht kennen bzw. aktiv leugnen. Die bürgerlich-liberale Presse, die sich offen für Popkultur und Geschlechterthemen gibt (taz etc.) promotet Postfeminismus ebenso wie populärwissenschaftliche Texte zu Geschlechterthemen und die Männerbewegung, aber auch popkulturelle Medien.




II. KONZEPT-/BEGRIFFSGESCHICHTE


Um diesen Postfeminismus-Strang einzuordnen und sich zu ihm zu positionieren, kann es hilfreich sein, sich anzugucken, woher dieser Begriff überhaupt kommt und durch welche Kanäle er sich popularisiert hat.

1. Herkunft: antifeministischer Backlash in den 80ern

Scheinbar tauchte der Begriff „post-feminism“ Ende der 80er Jahre in den USA auf – genau zu der Zeit, in der es einen massiven antifeministischen Gegenschlag gab, nachdem die Frauenbewegung (und andere neue soziale Bewegungen) einige ihrer Ziele erreicht und sich zumindest etwas in der Mitte der Gesellschaft etabliert hatte. Der Backlash äußerte sich beispielsweise in einer erstarkenden Antiabtreibungsbewegung, in einer neuen Frauenfeindlichkeit in der Massenkultur, in einer ‚neuen Weiblichkeit’ in der Mode, in der Streichung frauen- und sozialpolitischer Programmpunkte unter Reagan, in der ‚neuen Mütterlichkeit’ etc. Eine ausführliche Analyse von Reagans war on women ist nachzulesen in Susan Faludis Klassiker Backlash (1990). Faludi unterscheidet die expliziten Backlash-Perioden von einem antifeministischen Kontinuum, in dem immer irgendwelche Akteure irgendwie tendenziell anti Frauen argumentieren und entscheiden und den Feminismus für tot erklären, wie es schon 1890 getan wurde („False feminist death syndrome“).
Die Backlashthese von Faludi läßt sich nicht 1:1 übertragen auf jetzt und hier. Beispielsweise ist die Frauenpolitik der Bundesregierung wesentlich weniger manifest antifeministisch, und auch eine breite und aktive Antiabtreibungsbewegung gibt es hier nicht. Geld für soziale Projekte, also auch für Frauenprojekte, wird natürlich trotzdem gestrichen, und die Implikationen der Hartz-Gesetze sind frauenunfreundlich1.

2. Popfeminismus

In Deutschland wurde der Postfeminismus-Begriff zunächst in popkulturellen Zusammenhängen gebraucht, hergeleitet vom der riot grrrl-Kultur in den USA (die es so in Deutschland nie wirklich gegeben hat) und bei dem Versuch einer Positionierung und Selbstbeschreibung von Musikerinnen, die sich nicht mehr einem Oldschool-Feminismus zugehörig fühlten, sondern aggressiv, offensiv und hedonistisch als wilde böse Mädchen statt als Opfer auftraten2.
Riot Grrrl ist ein komplexes Phänomen3 , an dem auch das Wechselverhältnis von Subversion und Vermarktung gut sichtbar wird, so wie auch die unangenehme Erkenntnis, daß die Kontrolle über das eigene Image nicht unbedingt immer funktioniert – vor allem dann, wenn sich dieses Image aus Stereotypen speist, die ironisch zitiert und kritisiert werden sollen. (Natürlich stellt sich auch noch die Frage, wer sich die Teilnahme an der subversiven Imagepflege überhaupt leisten kann; riot grrrlism wurde hauptsächlich von weißen Mittelschichtsmädchen getragen.)
Frauenfachblätter wie Spiegel und Stern waren jedenfalls begeistert von der wilden Sexiness der kreischenden Mädchen und destillierten aus dem komplexen Zeichenuniversum der riot grrrls Folgendes heraus: Bauchnabelpiercing, „Schlampe“-T-Shirts, Babyaccessoires, süße & sexy Frechdachshaftigkeit. Daß es um Subkulturzugehörigkeit und DIY, um aggressive Thematisierung von Kindheit, Mädchen-Sein und Sexualität ging, um Mißbrauch und Eßstörungen, interessierte die bürgerlich-liberalen Medien natürlich einen Scheißdreck, und daß Le Tigre und die Spice Girls nicht das gleiche sind, wurde in der Mainstream-Rezeption weitgehend unterschlagen. Ergebnis war das Girlie als mediale Figur und Altmännerfantasie, und Girlism als subversiver Style ist wahrscheinlich unmöglich geworden. Frauen und Mädchen als Subjekte der Abgrenzung von einem ‚alten’ Feminismus zu porträtieren, ist und bleibt aber natürlich eine super Legitimierung für Leute, die das Ende das Feminismus propagieren (wollen4).
Im Kampf um den Begriff ‚Postfeminismus’ (d.h. auch um den Zustand des Feminismus) hatte also scheinbar von Anfang an die Rechte bzw. Konservative die Oberhand. Um den Begriff ‚Postfeminismus’ zu füllen, bedient sich die Rechte allerdings bei klassisch feministischem (bzw. emanzipatorischem) Vokabular: Freiheit, Emanzipation, Selbstbestimmung. Diese Kernkonzepte werden aus ihrem Zusammenhang gerissen, enteignet und formal behalten, aber mit anderen Inhalten gefüllt: Freiheit zum Konsum, Emanzipation von den Dogmen und Verboten der Frauenbewegung, selbstbestimmtes weiblich-und-sexy-Sein. Die Rechte kann nämlich auch resignifizieren und hat das wahrscheinlich lange vor der Linken getan. Deswegen könnte es sinnvoll sein, den Enthusiasmus, der allerorten (beispielsweise in der queeren Community) über Reinszenierungen und Resignifizierungen herrscht (also über die Wiederholung, Verdeutlichung und somit Aneignung verletzenden Sprechens, d.h. über emanzipative Begriffsumdeutungen), etwas gedämpft zu betrachten, denn mich als bitch zu bezeichnen, ist und bleibt eine riskante Angelegenheit, solange keine feministische Revolution stattgefunden hat. (Das ist wie mit der Ablehnung des Opferstatus.) – Ein gutes Beispiel für aggressive Aneignung und antiemanzipative, hyperreaktionäre Umdeutung von emanzipatorischen Forderungen ist (außer die im Folgenden analysierten Werbeplakate) die bürgerliche Männerbewegung mit ihrem Geschrei, die eigentlichen Opfer der Gesellschaft zu sein, mit ihrem Anspruch, als Opfer von Diskriminierung anerkannt zu werden, mit ihren Gleichheitsforderungen.

3. alltagskultureller Postfeminismus / Populärwissenschaft / Info-Medien

Ganz zentral ist für den alltagskulturellen bzw. massenmedialen Strang auf jeden Fall ein Diskurs über vermeintliche ‚Tabus’, ‚Dogmen’ etc. des Feminismus, die ‚gebrochen’ werden müssen. Dogmen wie: alle Frauen hassen alle Männer (also alle Feministinnen, aber unter ihrer diktatorischen Herrschaft auch alle anderen Frauen), Frauen haben die Diskurshoheit über Geschlecherthemen, Frauen sind Opfer, Frauen sind die besseren Menschen, alle Männer werden sofort diskursiv ausgegrenzt oder kastriert oder gleich abgeschafft und am Ende ist alles so wie bei den Töchtern Egalias, der Feminismus diktiert Frauen ein Verhalten und eine Weltsicht, mit denen sie eigentlich nicht einverstanden sind. Der Feminismus beherrscht also die Welt, und dabei hat die Frauenbewegung die Gesellschaft ins Chaos gestürzt: desorientierte und von Geschlechterrollenbildern überforderte Männer und Frauen, Kinderlosigkeit wegen weiblichem Karrierismus und überzogenen Ansprüchen in der Partnerwahl, Singlegesellschaft, gewalttätige und schulversagende Jungen, kinderlos gemachte und abgezockte Väter. In den bürgerlich-liberalen Infomedien ließ sich das in den letzten Monaten z.B. in der bevölkerungspolitischen Panik angesichts des ausbleibenden biodeutschen Nachwuchses und in der Debatte um Vaterschaftstests verfolgen.

Ein beispielhafter Text dafür, wie nicht nur paranoide mittelalterliche Männer, sondern auch hippe junge Frauen sich fleißig an dem kollektiven Totreden des Feminismus beteiligen, ist Katja Kullmanns Generation Ally. Warum es heute so schwer ist, eine Frau zu sein. Kullmann macht ein inklusives ‚Wir’ auf, mit dem heterosexuelle Frauen Mitte Dreißig, Karrierefrauen mit Krönung-Light-Berufen, Frauenzeitschriften- und Ratgeberliteraturleserinnen gemeint sind. Frauen, die in den Achtzigern verinnerlicht haben, daß Gesellschaftskritik der jetzt auch ihnen offenen Karriere im Weg steht, die sich von den 68ern abgrenzen mußten, die strukturellen Sexismus total verleugnet haben, weil sie nicht als unsexy Emanzen oder, schlimmer noch, als Lesben gelten wollten (homophobe und rassistische Untertöne sind keine Seltenheit in Kullmanns Buch: Lesben sind häßliche Hysterikerinnen, und Emanzipation stinkt so ekelhaft wie man selber aus dem Mund, wenn man gerade einen Döner gegessen hat) und sich plötzlich gewundert haben, warum doch nichts mehr geht, wenn sie Lust auf Kinder haben oder auf den richtig steilen Karrieresprung. Statt einer kritischen Infragestellung ihrer Streberinnenexistenz und der Frage, was es bedeutet, wenn strukturelle Ungleichheiten auch noch von den negativ Betroffenen selber geleugnet werden (und wie man sie dazu bringt), kommt aber nur eine vage Diagnose zum Schluß bei raus, daß man irgendwie denkt, irgendwas sei komisch gelaufen und ja, die GlobalisierungskritikerInnen und Charlotte Roche sind ja auch irgendwie sexy trotz Gesellschaftskritik, und überhaupt müßte Feminismus wieder sexy sein. Fragt sich nur, für wen.

4. in akademischen Zusammenhängen

Die Universität, die bekanntlich als Trendscout noch nie so richtig funktioniert hat, nimmt sich allmählich mit der gebotenen Verspätung des Postfeminismus an, weiß aber noch nicht so richtig, was sie mit ihm anfangen soll. Ist Postfeminismus okay und lustig, kann er dazu werden? Feministinnen an der Universität versuchen tendenziell, den Begriff Postfeminismus profeministisch umzudeuten, was erstmal nicht schlecht ist und eine gewisse Berechtigung hat. ‚Post-‚ macht hier Sinn als (in Anklang an Postmoderne und Poststrukturalismus) ein eindeutiges Statement gegen Essentialismen (also Seinszuschreibungen aufgrund vermeintlicher innerer Qualitäten) und außerdem als Versuch einer profeministischen Begriffsbesetzung – Begriffskämpfe können durchaus von Bedeutung sein (auch wenn bzw. gerade weil Resignifizierungen unvorhersehbar ablaufen können).

Die Seminare, die sich mit Postfeminismus beschäftigen, reichen von hochverschwurbelten Spezialveranstaltungen über poststrukturalistischen Feminismus und die Analyse von Geschlechterverhältnissen im Neoliberalismus bis zu dem Versuch, Bridget Jones feminismustheoretisch zu verorten. Übersichtspublikationen, was Postfeminismus eigentlich ist, gibt es immer noch sehr wenige, und die wenigen sind entweder heftige Angriffe oder enthusiastisches Abfeiern. Dazwischen sieht es mau aus, obwohl durchaus wichtige Sachen verhandelt werden (müssen): Krise und Neudefinition des Feminismus, die Forderung nach einer ‚neuen’ Frauenbewegung, das Aufwachen der unfeministischen Jetzt-Mittdreißigerinnen in der neoliberalen Wirklichkeit, Ökonomismus vs. Kulturalismus, Gleichheit vs. Differenz, feminisierte Arbeit, Sexarbeit, Sexualität / Pro-Sex-Feminismus, Feminismus vs.(??) Gender Studies, mögliche feministische Bündnisse, Popfeminismus.




III. ABGRENZUNG UND DIFFERENZ: GEMEINSAMKEITEN VON ANTI- UND PROFEMINISTISCHEM POSTFEMINISMUS

Der Feminismus wird also von außen angegriffen, und gleichzeitig werden feminismusinterne Debatten über eine vermeintliche Krise des institutionalisierten Feminismus geführt, der vermeintlich als politisches Projekt an Schlagkraft verloren hat und sich selbst vorwirft, die Komplexität sozialer (Unterdrückungs-)Verhältnisse nicht (mehr) fassen zu können. Was eine umfassende Diagnose nicht einfacher macht, ist, daß antifeministischer und profeministischer Postfeminismus Gemeinsamkeiten haben bzw. mit teilweise gleichen Kategorien arbeiten.

Beide vollziehen eine Abgrenzung gegenüber einem scheinbar hegemonial gewordenen feministischen Diskurs. Aber: die einen wollen ihn reflektieren und erweitern, die anderen wollen Schluß mit ihm machen. Während Feministinnen versuchen, Ausschlüsse und Grenzen bisheriger Feminismen deutlich zu machen und abzuschaffen, behauptet die antifeministische Postfeminismus-Front, es sei generell vorbei mit ‚dem Feminismus’. Und zwar aus zwei Gründen. Erstens, weil die Frauenbewegung ihre Ziele erreicht habe: die Geschlechter sind gleichberechtigt, Geschlecherpolitik hat sich in Gender Mainstreaming institutionalisiert, ‚Geschlechterkampf’ ist ein Relikt der Siebziger Jahre, Mädchen sind die schulisch und sozial erfolgreicheren Kinder und später Modernisierungsgewinnerinnen, Frauen stellen die Mehrzahl der Studierenden, etc. etc. – wir kennen die Argumente und wissen, daß sie nicht stimmen: weil wir jeden Tag mit sexistischen Bildern genervt werden, weil Feminisierung der Arbeit = Prekarisierung und Verarmung bedeutet, weil (sexualisierte) Gewalt gegen Frauen immer noch Alltag ist, weil Podien immer noch fast immer männlich besetzt sind (außer vielleicht, wenn Frauen über Geschlechterthemen reden), weil Arbeitsteilung in Beziehungen, Freundschaften und WGs nach geschlechtsspezifischen Mustern verläuft, weil Frauen weniger verdienen als Männer, weil von weit mehr als 50 Prozent Studentinnen nur 11 Prozent Professorinnen übrigbleiben und so weiter.
Die Behauptung, die Frauenbewegung habe ihre Ziele erreicht, ist also völlig kontrafaktisch. Parallel gibt es zum Thema Feminismus einen zweiten Konsens. Nämlich: die Frauenbewegung habe ihr Soll übererfüllt, habe nur Probleme produziert und gehöre deswegen auf den Müllhaufen der Geschichte. Geschlechterrollenbilder kaputt, Männer fertiggemacht, Jungen überfordert, Frauen depressiv. Festzustellen bleibt zunächst: zwei sich widersprechende Diskurse über den Feminismus kommen zum gleichen Schluß: „Die Frauenbewegung hat ihre Ziele erreicht“ + „Die Frauenbewegung hat versagt“ = also Schluß mit der Frauenbewegung. Dieses in sich widersprüchliche Argumentationsmuster analysierte Faludi schon 1991 in Backlash und nannte den Postfeminismus einen Mythos, der im völligen Widerspruch zu der konkreten Lebensrealität von Frauen steht.

Beide, der pro- und der antifeministische Postfeminismus, arbeiten mit dem Schlüsselkonzept der Differenz, um sich gegenüber dem hegemonialen Feminismus abzugrenzen. Nur: den einen geht es um Anerkennung und Einbeziehung bisher nicht berücksichtigter Gruppen und Lebensentwürfen aus emanzipatorischen politischen Gründen, den anderen um zielgruppenspezifisches Marketing. Der Feminismus der dritten Welle will die in der Frauenbewegung der ersten und zweiten Welle nicht mit einbezogenen Frauen und Gruppen integrieren: Schwarze Frauen, Lesben, Nicht-Mittelstandsangehörige, S/Merinnen, GendernautInnen. Die massenmediale Postfeminismus-Front will, daß sich nicht nur weiße, heterosexuelle Mittelschichtsfrauen von den beworbenen Produkten angesprochen fühlen oder sich für eine bestimmte Vorabendserie interessieren, sondern berücksichtigt alle möglichen Differenzen unter allen möglichen potentiellen KonsumentInnen – für einen größeren Absatz und vielleicht vor allem für ein modernisiertes Image der Marke X. Hier handelt es sich exakt um die oben beschriebe Entkontextualisierung und Enteignung emanzipatorischer Forderungen und ihre Verwurstung für definitiv nicht emanzipatorische Zwecke, hier: Marketing / Ökonomisierung5.
Mit der Differenz ist es unter Umständen so wie mit der Resignifizierung: Differenzen anzuerkennen, ist ein wichtiges Projekt, aber erstens hebt man so keine (essentialisierenden) Vorstellungen über das ‚eine’ und das ‚andere’ auf, und außerdem bricht man nicht automatisch mit der Hierarchie, die zwischen dem ‚einen’ und dem ‚anderen’ herrscht. Gerade weil ‚man selber’ nicht ‚anders’ ist, kann man auf das ‚andere’ so abfeiern und es in einer großzügigen Geste in den Mainstream integrieren6. Differenzen werden, wenn sie gut aussehen und möglichweise exotischen Mehrwert besitzen, einverleibt und ausgebeutet, aber keinesfalls als gleichberechtigt anerkannt.




IV. BEISPIELE / VISUELLE ARGUMENTE ZU “NEOSEXISMUS”


(An dieser Stelle des Vortrags habe ich die analysierten Motive anhand einer openoffice-Präsentation gezeigt, in der Schriftversion beschreibe ich sie kursorisch im Fließtext oder in einer Fußnote. Die meisten dieser Bilder sind aber z.B. mit der Google-Bildsuchfunktion relativ leicht zu finden.)

Bevor ich mich den konkreten Motiven zuwende, möchte ich noch einmal meine vorläufige Definition für Neosexismus anführen, hier auf Bilder aus der Werbung zugeschnitten: Neosexismus = modernisierter (‚postfeministischer’) Sexismus, der sich emanzipatorische Motive antiemanzipatorisch einverleibt und komplexere Geschichten von Konsum erzählt als nur: Frau = Ware. Die Bilder lassen sich grob in 3 Themenblöcke einteilen.

Thema A): Diversität von Lifestyles und Aussehen

  • Häagen-Dazs7 / Pirelli8 : Konsumieren exotischer sexy Differenzen. Hier treffen sexuelle und ‚ethnische’ Diversität aufeinander und werden zwar scheinbar bejaht, sind tatsächlich aber nur modernisierte Rassismen (die tierhafte Sexualität und Kraft des Schwarzen Manns; gleichzeitig macht ihn das Tragen der roten High Heels sexuell verdächtig). Ebenso Hennesseys Slogan „Mix accordingly“, der, anstatt für ‚rein weiße Schönheit’ zu werben, das Ideal eher in der Kombination zweier ethnisch unterschiedlich markierter Frauen suggeriert.
  • Dove: nackt darf die ‚verschiedenste’ Frau jetzt auch dann dem öffentlichen Auge angeboten bzw. zugemutet werden, wenn sie mehr als 45 Kilo wiegt, was die großflächige Repräsentation weiblicher Nacktheit vermeintlich unsexistisch macht. Die normalgewichtigen Modelle wurden unisono als „pummelig“ bezeichnet, gerne auch von begeisterten ‚feministischen’ Kritikerinnen, die damit die Wahrheit des Slogans (etwa „immer noch keine Models, aber straffe Rundungen“) bestätigten. Die Körper dieser Modelle KÖNNEN im Kontext von öffentlich ausgestellter Nacktheit auch nicht anders wahrgenommen werden als eben ‚anders’ und in der Hierarchie deutlich unter den üblichen Werbekörpern, als Ausnahme, die das Gesetz bestätigt. Dazu sind die Frauen offensiv ethnisch different markiert und werden in Interviews zitiert, wie stolz sie darauf sind, ihren „Kontinent zu repräsentieren“ (Interview mit einer Schwarzen Französin zur Lancierung der Kampagne in Frankreich), außerdem lifestyle-differenziert (z.B. durch Tattoos). Die nächste Dove-Kampagne ist in Arbeit, und wir dürfen gespannt sein. Vielleicht gucken aus den Unterhosen der nächsten Dove-Modelle Schamhaare raus. Oder die neuentdeckte Unterschicht darf sich auch mal ausziehen.
  • CMA: diese Kampagne punktet mit dem Öko-Argument für die bürgerliche Linke. „Alles bio, alles echt“ steht quer über den Brüsten (auf einem T-Shirt) einer jungen Blondine. CMA steht auf der Homepage in nichts Häagen Dazs nach, was die selbstbewußte Anpreisung der Motive als „frech“ und „bewußt zweideutig“ angeht. Dabei ist das von CMA beworbene Fleisch nicht nur öko und sexy, sondern auch noch explizit deutsch9. Nachtrag: CMAs wurstfröhlicher Deutschnationalismus hat mit der neuesten Kampagne die logische nächste Stufe erreicht. Auf dem Plakat sind eine Schwarze und eine weiße Frau abgebildet. Die Weiße faßt mit einer Grillzange an die Nase der Schwarzen, und der Slogan lautet: „Medium or well done – welche macht dich mehr an?“
  • Radio-Fritz-Kinowerbung: hier tanzt eine junge, langhaarige, konventionell hübsche und wenig bekleidete Frau hüftschwingend zu einem verfremdeten Song von Peaches. Die feministische Pro-Sex-Ikone, die sich ein vielschichtiges sexuelles Zeichenuniversum subversiv angeeignet hat, wird hier zum Gegenstand einer erneuten konservativen Resignifizierung und damit gezähmt. Ähnlich verlaufen auch Peaches-Konzerte, in denen die ersten 10 Reihen von Männern okkupiert werden, die ihre Show als geile Porn-Show rezipieren.
  • Ipod: die schemenhafte Darstellung ist poppig und graphisch sophisticated, gleichzeitig schreibt sich die Linie der Körperkontur in die Tradition der reduzierenden Bilder des weiblichen Körpers ein. Auf anderen Motiven sind es die Dreadlock-Konturen und das Schema des entfesselt tanzenden Schwarzen Körpers, die die popkulturelle Authentizität der Apple-Produkte absichern.

Thema B): Sexuelles Subjekt Frau, Pornoästhetik, Lesbian Chic

  • RaubkopiererInnen: in einem Kinospot dieser aggressiven Disziplinarkampagne droht die irrationale, technikfeindliche, naturhafte, sexuell fordernde Frau ihrem datensaugenden Freund mit einem Anruf bei der Polizei (also mit Knast), wenn er nicht sofort zu ihr ins Bett kommt. Die Frau hat also das Recht auf Sex, kann ihre Wünsche aber nur mit der Hilfe des Mannes erfüllen. Implizit wird die angstbesetzte Figur der mächtigen, phallischen und sexuell fordernden Frau aufgerufen und der Mann erscheint als handlungsunfähig (= impotent). Wie feminismusinformiert die MacherInnen der Kampagne sind, wurde deutlich, als zum 8. März Plakate mit dem Slogan erschienen: „Auch Raubkopiererinnen sind Verbrecherinnen“. Dafür hat feministische Sprachkritik nicht gekämpft.
  • Tally Weijl10 : hier ist die Frau gleichzeitig Sexobjekt (für den Betrachter des Plakats, weil Porno-Ikonographie) und –subjekt (gegenüber den Männern/Menschenaffen auf dem Plakat, weil der Mann objektiviert wird (das Absprechen der männlichen sexuellen Subjektivität wird mit Hilfe des durch die Evolutionsbildchen aufgerufene Triebargument legitimiert). Gegen solche Werbungen gehen übrigens ganz schnell Beschwerden von Männerorganisationen beim Werberat ein, in denen argumentiert wird, daß solche Plakate für allgemeine Empörung sorgen würden, wenn „Frauen“ oder „Ausländer“ so dargestellt würden (http://www.maennerrat.de). – Auch auf reihenweise anderen Plakaten sitzen Frauen rittlings auf Gegenständen oder Männern oder Tieren.
  • Absolut Wodka11 : Männer als Pin-Ups haben uns die Wäscheplakate von H&M schon seit Mitte der 90er vorgeführt. Nackte Männer funktionieren aber genau wie nicht untergewichtige Frauen darüber, daß sie einen Sonderfall darstellen. Über die Funktion der Flasche darf die BetrachterIn rätseln, was die Werbung zusätzlich kinky macht. Das Ungeklärte geht einher damit, daß Männer als Pin-Ups ja nicht nur für Frauen, sondern eventuell auch für andere Männer zu einem begehrenswerten Sexobjekt werden können. Was für ein Thrill.
  • Pornoästhetik, auffälligerweise oft schwullesbisch ausformuliert, kann mittlerweile als eigene Kategorie bezeichnet werden: auf verschiedensten Plakatmotiven sind Figurengruppierungen offensiv nach dem Muster sexueller Aktivität inszeniert, Männer halten längliche Gegenstände zwischen die Beine von Frauen, Motive assoziieren Sexarbeit etc.
    Verdichtet veranschaulicht ist das erstens in der K-Fee-Werbung mit der Pornoschauspielerin Michaela Schaffrath (Gina Wild)[12] , die kurz vor der Kampagne einen Popularitätsschub hatte, weil ihre Memoiren erschienen (das war auch in den sogenannten seriösen Medien Thema – ironisch natürlich). Durch die öffentliche Präsentation auf den Plakaten und die Verklammerung mit einem harmlosen Konsumprodukt wird sie enttabuisiert und für die Mehrheit öffentlich konsumierbar gemacht, statt daß verschämt-versteckt Pornos geguckt werden müssen und dann kommt Mutti rein. Das Ganze lebt von pubertär-zotigem Humor und einem kumpelhaften Rückgriff auf Jungssozialisation und -fantasien (‚Tittenfick’).
    Zweitens: der kinky und ‚aufregend andere’ Lesbian chic der Skechers-Plakate mit Christina Aguilera13 (die hier vielleicht aufholt, was Britney schon längst gebracht hat). Die Motive greifen auf das Frauenideal des Malestream-Porno zurück (die stereotypen Rollen, die offenen Münder etc.), in dem zwei Frauen ein kleines lesbisches Szenario durchturnen dürfen, bevor der Mann kommt, auf den sie eigentlich die ganze Zeit gewartet haben. Die Plakate resümieren souverän das Repertoire an Rollen, das Frauen im Malestream-Sex-Imaginären zur Verfügung steht, und ermöglichen genau wie die K-Fee-Werbung die Konsumtion quasipornographischer Bilder ohne Aufwand und anstrengende Heimlichkeiten.
  • Gay chic fehlt natürlich auch nicht (Schwule sind ja auch eher als Zielgruppe erkannt worden als Lesben). Schwuler Sex wird aber offensichtlich immer noch als so bedrohlich empfunden, daß seine Sichtbarmachung für den Mainstream beispielsweise so aussieht, daß er nur lustig-augenzwinkernd als Vergewaltigungsdrohung im Knast repräsentiert werden kann (Raubkopiererkampagne14). Und hier geht es nicht um ein Produkt. Hier geht es um ein Verbrechen und dessen Bestrafung. Subtilere Bilder bzw. Bilder, mit denen Konsumprodukte beworben werden, verfahren natürlich anders, aber auch hier geht das Zitieren von schwulem Sex mit Assoziationen von Schmutz und Grobheit einher, wie bei der Schokoladenwerbung aus Frankreich, wo sich ein schwules Paar gegenseitig an den Hintern faßt und sich laut Slogan an der Hose die Hände abwischt. Bemerkenswert ist auch das China-Menü-Plakat, wo den Schwulen zwar zugestanden wird, ein ‚ganz normales’ Paar zu sein, aber wo wie in einer kompensatorischen bzw. verschiebenden Geste dann das ‚Anderssein’ eben rassifiziert und nicht mehr sexuell erscheint15.

C) Mischformen

Als Sonderfall und zugleich Urtyp pseudomodernisierter, mit Tabus spielender Werbung kann die West-Werbung gelten, die es schon seit Anfang der 90er gibt (damals konnte der CSD in Deutschland noch für echte Skandale sorgen): Hedonismus, anders sein, Frauen dürfen jetzt auch ins Gebüsch pinkeln, Dragqueens; dazu ein lustig politisch unkorrektes Spiel mit Sexismen und Rassismen: diese Kampagnen sind ein willenloses Zitieren sexueller und lifestyle-„Diversität“ auf Kosten jeweils dessen, was da exotisierend in Szene gesetzt wird. Weniger hedonistisch, dafür sozial voll engagiert waren die zeitgleichen Kampagnen von Bennetton, die für das Abfeiern von Differenzen auf Kosten von AIDSkranken und niedlichen Schwarzen Kriegswaisen bis heute Maßstäbe gesetzt haben.



Zusammenfassendes vorläufiges Ergebnis für Neosexismus. Neosexismus speist sich aus Bildern von:

  • erstens körperlicher und Lifestyle-Diversität (Normalgewicht), nicht-konservativen / liberalen Lifestyles (Öko); Jugend/Subkulturcodes (auch in der graphischen Gestaltung der Plakate) wirken auf diesen Plakaten souverän integriert. Ebenso präsent sind positive Darstellungen von ‚aufregend anderen’ Schwarzen / Nichtweißen. Insgesamt werden zwar Differenzen sichtbar gemacht, aber diese wirken eher bestärkend auf Normalitätsvorstellungen. Differenzen bleiben different und außerdem hierarchisch.
  • zweitens sexueller Diversität in offensiver Darstellung: Homosexualität, Pornoästhetik, Dragqueens, Frauen als sexuelle Subjekte und Männer als sexuelle Objekte. Die Strategie, mit der hier gearbeitet wird, ist eine Haltung der anti-political und anti-sexual correctness, die sich aus (sexuellen) Emanzipationsbestrebungen der Frauen- bzw. schwullesbischen Bewegung speist. Deren Forderungen nach political und sexual correctness (z.B. durch Sichtbarmachung und emanzipative Repräsentationspolitik) werden aufgegriffen und verdreht bzw. in ‚tabubrecherischer’, lustiger anti-political-correctness-Manier ironisiert. Auf das Thema der Gechlechtergleichheit bzw. –gerechtigkeit wird regelmäßig eingegangen, aber nicht ohne die gebührende Ironie: political correctness bzw. Geschlechterverhältnisse gewinnen momentane Aufmerksamkeit und Anerkennung in einem genau festgelegten Rahmen (nämlich dem des Plakats), der um so leichter das Fortdauern von strukturellem Sexismus verleugnen kann und ihn somit entthematisiert bzw. seine Thematisierung lächerlich machen soll. Kampagnen nehmen Bezug auf geschlechtergerechte sprachliche Repräsentation oder zitieren, lustig ironisch anti-politically correct, wortwörtlich Political correctness (Bacardi). Das ist auch das ‚Schicksal’ von Forderungen von Communities nach ‚Sichtbarkeit’ / Repräsentation. Wie z.B. die Einlösung der Forderung nach lesbischer Sichtbarkeit aussieht, kann man in der Skechers-Kampagne sehen.
  • Dazu kommen noch Bilder, die nicht so deutlich unter die Kategorie Neosexismus fallen, sondern einfach offensiv Erfolgsfrauen zeigen und damit genauso wie die unter 1. und 2. benannten visuellen Argumente behaupten, Geschlechterverhältnisse seien mittlerweile gerecht und Frauen machen überall Karriere, daß es nur so kracht: Bankenwerbung etc., deren Plakatmodelle nicht sexualisiert, aber immer attraktiv und sexy sind (weil Frauen in der Werbung attraktiv sein MÜSSEN, aber attraktiv ohne ein bißchen sexy unvorstellbar ist) – einfach nur kompetent geht nicht. (Präzisierender Einschub: dieser Text versteht sich nicht als reformistischer Vorschlagspool für bessere Werbung. Ich will keine kompetenten Bankerinnen auf Werbeplakaten sehen.)



V. DAS SUBJEKT DES POSTFEMINISMUS


Das alles impliziert ein Kollektivsubjekt Frau, das ja außerhalb von universitären Diskursen um Geschlechter- und Subjektdekonstruktion und der Politik einiger linksradikaler Gruppen weiterhin irgendwie existiert. Wie sieht dieses Kollektivsubjekt aus, wenn man sich grob an dem eben Beschriebenen orientiert? Auf Werbebildern werden Geschlechterverhältnisse natürlich nicht inhaltlich verhandelt, aber wenn man diese Bilder kurzschließt mit Populärwissenschaften, Frauenzeitschriften, Infomedien und politischen Programmen, werden sie aussagekräftig.

Erfolgreich, sexy und gleichberechtigt und irgendwie auch total unterschiedlich: die Frauen auf diesen Bildern erscheinen wie eine Metapher für einen scheinbar stattgefundenen sozialen Wandel. Sie sind Unternehmerinnen ihrer selbst in Medien-, Finanz- und anderen ‚solchen’ Berufen, die auch noch super aussehen und den Sex haben, den sie haben wollen, und deswegen kinky-ironisch-tabubrecherisch-anti-politisch-korrekt auf Geschlechterthemen und sexualisierte Szenarien Bezug nehmen können. Sie repräsentieren das Versprechen von Chancen, Potential, Karriere, Konsum. Dieses Versprechen kann natürlich nur gegeben werden, wenn behauptet wird (wie konstant seit etwa Mitte der 90er Jahre), daß Geschlechergleichheit erreicht worden sei. Die versprochene Teilnahme an diesen Chancen ist an die Bedingung geknüpft, daß Frauen genau die Funktionen und Rollen einnehmen, die ihnen die AkteurInnen der neoliberalen Modernisierung anbieten bzw. vorschreiben. Dann können sie nicht nur sexy, sondern auch Karrieregirls sein, die von einer britischen Kulturwissenschaftlerin momentan sogar als neue Hauptsubjekte der Konsumgesellschaft bezeichnet und untersucht werden16. Die Gesellschaft muß ihre Lieblingssubjekte verstehen, sich um sie kümmern und sie formen, damit sie funktionieren und weder gesellschaftskritisch noch zu teuren Sozialfällen werden. Frauen werden offensiv und massiv als ‚Individuen mit Potential’ repräsentiert. Potential und Chancen, vermeintliche Eckpunkte von Emanzipation und Gleichberechtigung, werden aber innerhalb einer aggressiv durchgesetzten nachwohlfahrtsstaatlichen sozialen Ordnung zu Kategorien einer Disziplinarmacht, zu Erfolgsdruck, zu der Bedeutung von Anerkennung als jemand ‚Wichtiges’ und ‚Erfolgreiches’. Wer diese Anerkennung und diesen Erfolg nicht vorweisen kann (z.B. ZU blöde, ZU blonde Sexbomben – the dark side of power der Erfolgsfrauen), hat selber versagt – das Potential war ja da. Selbstanschuldigungen und individuelle Verantwortung für nicht erfolgreiche Lebensläufe ersetzen eine vergesellschaftete und politische Perspektive auf die Verhältnisse, die ja möglicherweise auch etwas damit zu tun haben könnten, wie ein Leben verläuft. Aber wenn Subjektivitäten als völlig unpolitische hervorgebracht werden – zum Beispiel wie die hegemoniale weibliche Subjektivität mit den Eckpunkten ‚Körper, Sexualität, Konsum, Karriere’ – dann kann man so etwas natürlich durchsetzen. Und noch besser läßt sich so etwas durchsetzen, wenn eigentlich politische, feministische Forderungen scheinemanzipatorisch in ein neoliberales Programm integriert werden: ökonomische Unabhängigkeit von Frauen beispielsweise. Ökonomische Unabhängigkeit heißt in der neoliberalen Ausformulierung: Karriere und Konsum verschränken sich ‚jetzt auch für Frauen’ als Hauptkriterien eines ‚sinnvollen Lebens’ und werden damit zentrale und gleichzeitig angstbesetzte Meßlatte für Subjektivität und mehr als das, wenn Transferleistungen für Arbeitslose und Sozialhilfe-Empfängerinnen massiv gestrichen werden. Die Kategorie ‚arbeitende Konsumentin’ ersetzt sogar vorläufig die bisherige weibliche Hauptkategorie ‚Mutter’ und verschiebt das Kinderkriegen weit nach hinten. So lautet die erwünschte weibliche Normalbiographie in der neoliberalen nachwohlfahrtsstaatlichen Gesellschaft: lange arbeiten in top jobs, viel konsumieren, serielle Monogamie (in der Frauen durchaus als souveräne sexuelle Subjekte gedacht werden), dann stabile Partnerschaft (hetero oder homo ist fast egal, genauso wie die Erfolgssubjekte nicht mehr unbedingt als weiß imaginiert werden müssen), Haus kaufen, späte Elternschaft. Die entsprechenden Bilder gehen eindeutig über eine Widerspiegelung der sozialen Realität hinaus. Sie scheinen eher an der Entstehung dieser Realität offensiv mitarbeiten zu wollen/sollen, und vielleicht erklärt das, zusätzlich zu dem Mehrwert des lustigen Tabubruchs und der Lächerlichmachung und des Abdissens angeblich nicht mehr zeitgemäßer emanzipatorischer Forderungen, die immer massivere und aggressivere Präsenz der entsprechenden Bilder im öffentlichen und medialen Raum.
Es handelt sich bei diesen Koordinaten der Subjekte des Postfeminismus um Bilder des Mainstreams, deswegen ist ihr Konservatismus (bzw. Sexismus) nicht erstaunlich, aber bemerkenswert in Kombination mit ihren modernen, emanzipatorischen Ansprüchen, die beispielhaft in einigen der eben besprochenen Bilder zum Vorschein kommen. Es etabliert sich zur Zeit in der feministischen Theorie die sogenannte Widerspruchsthese, die besagt, daß generalisierende Aussagen über Geschlechterbilder immer schwerer zu formulieren sind, weil sich diese Bilder über mittlerweile Jahre gleichzeitig modernisiert und festgeschrieben haben. Was an diesen Bildern so nervt, ist ihre Perfidie, aber mindestens genauso ihr zwanghaftes Tabugebreche und Anti-political-correctness-Gekreische, das als Argument leider nicht nur aus der bescheuerten Mitte bzw. vom rechten Rand der Gesellschaft kommt, sondern sich auch in eigentlich freundlichen Kreisen einer gewissen Beliebtheit erfreut. Anstelle weiterer Schlußfolgerungen verweise ich an dieser Stelle auf den ebenfalls bei der Veranstaltung gehaltenen Vortrag von Lisa zum Thema Anti-PC und Tabubrüche, der sich auch (demnächst) auf dieser Seite finden sollte.



Anmerkungen

1 Katharina Pühl hat dazu gearbeitet. Rot-Grüner Neoliberalismus agiert natürlich subtiler als Reaganismus.

2 In emanzipativen Kämpfen findet die Ablehnung des Opferstatus ihre Begründung darin, daß „Opfer sein“ mit politischer Handlungsunfähigkeit gleichzusetzen und deswegen abzulehnen ist. Dieser selbstermächtigende Gestus ist zwar verständlich und produktiv, birgt aber die Gefahr, daß mit einer Pauschalablehnung des Opfer-Seins strukturelle Ungerechtigkeiten (die ja immer noch an allen Ecken und Enden dieser Gesellschaft vorhanden sind) übersehen oder geleugnet werden.

3 Das dichteste, fundierteste und außerdem schickste Buch zum Thema: Anette Baldauf & Katharina Weingartner, Lips Tits Hits Power?, Wien 1998.

4 Ähnlich vertrackt gestaltet sich die Lage z.B. in der Electronicszene, in der Coolness-Imperative und möglicherweise noch Androgynitätsideale es weiblichen DJs erschweren, Schwierigkeiten aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit zu thematisieren, weil man ja auch nicht auf dem Frauenticket fahren will, sondern gebookt werden will, weil man so super auflegt. Aber in den letzten Jahren hat sich da ja einiges getan.

5 wie auch das Beispiel Girlism

6 vgl. hierzu die Texte von Anna und Joshua aus der Veranstaltungsreihe, die anhand einer Kampagne von Häagen-Dazs und anhand des Labels AggroBerlin zeigen, wie das funktioniert.

7 Mit dem Slogan „Let your tongue travel“ werden ‚exotische’ Eiscremesorten beworben, die sich auf den Plakaten per ‚Swirl’ in ethnisiert-exotisierte Frauen morphen: der Kokoseis-Packung entwindet sich eine Hawaiianerin etc.

8 ein Schwarzer Mann in roten High Heels ist zu sehen, in einer Körperhaltung, die suggeriert, daß er gleich lossprintet.

9 Ich erinnere an Lisas und Birtes Forschungsergebnis, daß die glückliche deutsche Kleinfamilie am häufigsten in Versicherungs- und Wurstwerbung zu sehen ist.

10 Eine Hälfte des Plakats gehört einer Frau, die andere Hälfte kleinen Bildchen von Affen / Menschenaffen / Männern

11 Ein nackter Mann auf einem Bett, der eine Wodkaflasche zwischen seine Beine hält

12 Schaffrath drückt die Getränkedose zwischen ihren Brüsten zusammen.

13 Aguilera ist je doppelt abgebildet: als Lehrerin und Schülerin, als Lederbutch und süßes blondes Mädchen etc.

14 Der frisch verknackte Häftling wird den Gang zu seiner Zelle entlanggeführt, und andere Insassen drehen sich nach ihm um, pfeifen ihm hinterher etc.

15 Auf dem Plakat ißt einer der beiden Männer TK-China-Pfanne, während der andere sich von hinten über seine Schulter beugt und ihm schelmisch die Augen verzieht, ihn also ‚verschlitzaugt’.

16 Ich beziehe mich hier auf Angela McRobbie