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Kultureller Kannibalismus & Häagen Dasz



’Let your tongue travel’: Kultureller Kannibalismus, Haägen Dasz und koloniale Repräsentationen


Häagen Dazs fordert uns auf, ‘unsere Zungen reisen zu lassen’, ‘die Welt zu schmecken’, indem wir die abgebildeten Frauen und die durch sie symbolisierten Kontinente über die Eiscreme konsumieren. Die warenförmige Einverleibung sexistisch und rassistisch konstruierter Differenzen durch den weißen Malestream soll als kultureller Kannibalismus bzw. ‘Eating the Other’ (bell hooks) diskutiert werden.

In der Werbekampagne von Häagen-Dazs, ‘Let your tongue travel’, werden Frauen mit ihren vermeintlichen Herkunftsstädten/ländern/kontinenten zu Eiscreme verrührt und durch den Konsum dieses Speiseeisproduktes können wir diese auch symbolisch mitessen: Deshalb die Interpretation der Werbung als kannibalistisch. Häagen-Dazs spielt in seiner Werbung geschickt mit den Verschränkungen von Rassismus, Sexismus und Heteronormativität. Über die ethnische und sexuelle Markierung der Models werden Unterschiede dargestellt bzw. hergestellt, die dann als ‘exotisch’ konsumiert werden können. Mehr oder weniger tricky daran ist, dass Häagen-Dazs weniger (aber auch) auf stereotype negative Darstellungen zurückgreift, sondern auf vermeintlich positive. Indem das Andere als begehrenswert dargestellt wird, kann der weiße Malestream so tun, als ob die alten Rassismen und Sexismen überwunden wären und gleichzeitig wie gewohnt konsumieren. Diese Strategie, mit vermeintlicher Wertschätzung auf der sicheren Seite zu sein, eigentlich aber eine Standard-Kolonialstrategie zu fahren, möchte ich anhand der Häagen-Dazs Werbekampagne veranschaulichen. Der theoretische Background wird bell hooks Aufsatz ‘Eating the Other. Desire and Resistance“ sein.
Die koloniale Kontinuität, in der die Bilder stehen, möchte ich anhand zweier Aspekte ansprechen: Zum einen die Feminisierung des Landes in der Fantasie euopäischer Kolonisator(inn)en. Zweitens auf das ‘traditionelle’ symbolische Verspeisen Schwarzer Menschen und people of color in Deutschland. Hier ist Sarotti ein gutes Beispiel, um die dahinterliegende ‘imperiale Nostalgie’, über den bell hooks auch schreibt, zu verdeutlichen.
Häagen-Dazs hat mittlerweile die Kampagne modifiziert, und bietet nun auch einen weißen Mann zum verspeisen an: wie ist das zu erklären?

Häagen-Dazs: ‘Let your tongue travel’

Um an dieser Stelle die Bilder nicht zu reproduzieren, verweise ich auf die Internetpräsenz von Häagen-Dazs, wo sich alle Interessierten, die bisher verschont worden sind, einen Überblick verschaffen können: http://www.haagen-dazs.de/microsite/home.html
Die Bilder der aktuellen Kampagne sind dort nicht zu finden, sie hängen aber derzeit überall in Berlin.
Häagen-Dazs gehört übrigens zu General Mills, einem der größten Lebensmittelkonzerne, und vertickt mehr als 5 Millionen Kugeln Eis am Tag. Die Marke hat nichts mit Dänemark zu tun, sondern kommt ursprünglich aus New York und soll nur nach dänischem Qualitätseis klingen. Der Etat der Werbekampagne von 2003, auf die ich mich hier hauptsächlich beziehe, lag im ‘hohen siebenstelligen Bereich’. Es gab also eine massive Dosis für die deutschen Großstädte, deren jungsches Szene-Publikum angesprochen werden sollte.
Zum Start der ‘Let your tongue travel’-Kampagne hatte einen kleinen Disput mit Häagen-Dazs und dem Werberat. In der ersten Mail an mich schrieb Häagen-Dazs sinngemäß, mit meiner Wahrnehmung stimme etwas nicht und ich soll das nie wieder tun, für die zweite war dann die PR-Abteilung zuständig und hat die Werbung nochmals wiederholt. Der Werberat hat mich ebenfalls sehr deprimiert: Er fand, dass diese Werbemaßnahme nicht zu beanstanden sei, weil die Frauen bekleidet seien, und es somit sich nicht um Sexismus handeln könne. Die women of color seien ästhetisch und stolz dargestellt, von daher sei die Darstellung nicht rassistisch (Wobei natürlich über die Ästhetik pürierter Frauen gestritten werden kann.) Außerdem stehe die Werbung mit dem beworbenen Produkt in einem eindeutigen Zusammenhang.

Der Begriff des Kannibalismus ist nicht unproblematisch, da der Vorwurf des Kannibalismus oft benutzt wurde, um kolonialistische Aggression zu legitimieren. Das war zwar hauptsächlich pure Projektion und kann insofern eher benutzt werden, um die europäische Expansion selbst zu beschreiben. Warum diese Werbung als explizit kannibalistisch bezeichnet werden kann ist nicht so weit hergeholt: Die Frauen werden mitsamt ihrer Umgebung in die Eiscreme gerührt, und werden somit symbolisch immer mitgegessen. Der Slogan ‘Let your tongue travel’ sagt uns, dass wir unsere zungen reisen lassen können, auf den Frauen, den Orten, die sie symbolisieren sollen. Sowohl die Models als auch die mehr oder weniger spezifischen Orte werden durch die Darstellung sexualisiert oder erotisiert, und somit auch die Eiscreme. Dies geschieht durch die klassischen Posen der Frauen, die leicht bekleidet, mit offenem Mund, meist herumliegen. Außerdem wird die Eiscreme ethnisiert oder rassialisiert, indem verschiedene Frauen verschiedenen Orten in exotisierender Weise zugeordnet werden. Besonders deutlich wird das bei der Werbung für ‘Choc Choc Chip’, durch die Verbindung einer Schwarzen Frau mit Schokolade. Sie ist auch die einzige, die nicht in die Kamera schaut und somit ungestört angestarrt werden kann. Sie steht in der Savanne, trägt Kleidung mit Fellmuster und andere nette Details. Weiß-Sein hingegen wird als differenziert und stylish konstruiert, durch den Bezug zu New York (und nicht etwa Polen), den Diskokugeleffekt usw. Darüberhinaus lässt sich Weiß-Sein im Konstrast zu den Bildern der Women of Color lesen, so dass Weißsein implizit als zivilisiert, differenziert und so weiter erscheinen soll. Die von weißen Frauen dargestellten Orte sind New York und mittlerweile Mailand – im Vergleich zu Hawaii, Westafrika und Asien recht spezifische Orte. Anstatt Natur ist der Hintergrund der weißen Frauen Möbel und Architektur.
Auf einer dritten Ebene steckt auch hinter diesen Bildern ein weißer und auch männlicher und heterosexueller Blick. Die Whiteness der Bilder wird hier vor allem dadurch sichtbar, dass ‘das Andere’ für Weiße zum Konsum angeboten wird. Die Bilder sind Ausdruck der Strategie, sich zum eigenen Vorteil mit ‘dem Anderen’ zu schmücken, ohne die rassistischen Strukturen zu verändern.

Bell hooks: Eating the Other – Die Anderen zur Ware machen

Der Streitpunkt ist hier der Unterschied zwischen kultureller Aneignung und kultureller Wertschätzung, als welche Häagen-Dazs ihre Werbung und Produkte ausgibt. bell hooks kritisiert das ‘zur Ware machen’ des Anderen (commodification, in der deutschen Übersetzung nur ‘Vermarktung’). Dieses ‘zur Ware machen’ ist so erfolgreich, weil das Andere als aufregender als weiße Mainstream-Kultur gilt:

”The commodification of Otherness has been so successful because it is offered as a new delight, more intense, more satisfying than normal ways of doing and feeling. Within commodity culture, ethnicity becomes spice, seasoning that can liven up the dull dish that is the mainstream white culture“1(hooks 1992:21).

Während hooks Essen eher als Metapher benutzt, wird Häagen-Dazs konkret:
bq. „Mit allen Sinnen genießen. Wie schmeckt die Welt? Wie ist es, wenn sich Ihre Zunge um das aufregende New York legt? Wie fühlt sich Ihr Gaumen, wenn er von dem exotischen Asien umschmiegt wird? Tauchen Sie ein in eine Welt des Geschmacks. Und entdecken Sie die schillernden Facetten New Yorks, die kostbaren Geheimnisse West-Afrikas und die außergewöhnlichen Schätze Hawaiis. (...)“2

Ethnizität und (mehr oder weniger) bestimmte Orte werden hier tatsächlich zu Geschmacksrichtungen. Problematisch daran ist, dass Differenzen zur Belustigung von Weißen zur Ware gemacht werden und so, wie bell hooks schreibt, „das Andere einverleibt, konsumiert und vergessen wird“. Jede Differenz von der weißen Norm wird so aus ihrem Kontext gerissen und ihrer eigenen Geschichte beraubt. Die ‘imperialistische Nostalgie’, die ‘Verführung durch das Andere’ negiert diese Geschichte und die Auswirkungen der kolonialen, rassistischen Herrschaftsstrukturen:
bq.„(…) it establishes a contemporary narrative where the suffering imposed by structures of domination on those designated Other is deflected by an emphasis on seduction and longing where the desire is not to make the Other over in one‘s image but to become the Other.“3(hooks 1992: 25).

Auch diesen Punkt belegt Häagen-Dazs, als hätten sie bell hooks gelesen: „Sie wissen, wie Häagen-Dazs ® Eiscreme schmeckt. Jetzt können Sie anderen zeigen, wie sie Ihnen den Kopf verdreht. Wie ein Sog, der Bestes erfasst und zu einer herrlichen Komposition vereint, lässt Häagen-Dazs Eiscreme Sie Teil einer anderen Welt werden.“4 (Herv. von mir)


Feminisierung der Erde
ist noch in Arbeit…


Imperialistische Nostalgie: Sarotti
ist noch in Arbeit…



Der neue Coup: San Francisco’s Delicacy

Was ist an der San Francisco’s Delicacy Werbung auszusetzen?
Das kannibalische Prinzip ist natürlich generell fragwürdig, egal wer jetzt gerade gegessen und zur Ware wird, dennoch ist es nicht beliebig und die Eßbarkeit der Leute folgt bestimmten Machtlinien.
Offensichtlich reagieren Häagen-Dazs auf die Kritik an der vorherigen Werbekampagne damit, einen weißen Mann zu integrieren.(Ich hatte damals geschrieben, dass es wohl kein Zufall ist, dass weiße Männer nicht auf der Speisekarte stehen.) Allerdings finde ich nicht, dass sich Rassismen und Sexismen beliebig addieren und subtrahieren lassen, und die erotisierte Darstellung eines weißen Mannes relativiert nicht die vorhergegangenen Bilder. Besonders interessant an diesem Bild ist, dass hier mit sexueller Ambivalenz gespielt wird (wohingegen die anderen Werbungen heterosexistisch gestrickt sind). Das mache ich vor allem daran fest, dass das Model als San Francisco’s Delicacy verspeist werden kann, eine queere Metropole, und seinem Style, z.b. der goldenen Paillettenkrawatte.
Möglicherweise soll es sich bei dem Model auch um einen sog. metrosexuellen Mann handeln, d.h. einen heterosexuellen Mann, der jedoch Schönheitsstrategien anwendet, die sonst eher mit Frauen und Schwulen assoziiert werden, z.B. Röcke, Schmuck, Schminke. Ich komme darauf, weil die Häagen-Dazs-Homepage in der ‘society’-Sektion einen Artikel über den ‘metrosexuellen Mann’ featured:

“Puder, Röcke und andere Männersachen
Noch ist er ein Exot. Man sieht ihn aber immer öfter. Auf der Straße, im Café, bei Parties. Er trägt Röcke, rasiert sich Beine und Brust und pudert sich das Gesicht. Sie meinen „der muss schwul sein?“ – wir meinen: nein. Die Rede ist von metrosexuals – Männern, die auf ihr Äußeres Wert legen und mehr aus ihrem Typ machen. Metrosexuell zu sein ist der Trend. David Beckham und co. sind die Vorbilder. Metrosexuals finden sie in Metropolen – daher auch der Name. Hier ist das Revier des trendbewussten Mannes, hier kann er sich nach Lust und Laune austoben und die Grenzen der Gesellschaft ein wenig ignorieren. Er braucht kein Ticket in die weite Welt, er lebt sie. Und fühlt sich wohl dabei. Er genießt seine Haltung – und zwar mit allen Sinnen.”[5]

Hier ist wieder das grenzüberschreitende Moment durch den Konsum von Häagen-Dazs und den lifestyle der Leute, die Häagen-Dazs ansprechen will. Diese Werbung passt insofern gut zu den vorherigen Ausführungen, weil auch hier das – diesmal sexuell – Andere einverleibt wird, mit einer pseudo-fortschrittlichen Attitüde, ohne die eigene Dominanz aufgeben zu wollen. Dies wird in dem Zitat vor allem darin deutlich, dass sich vom Schwulsein explizit abgegrenzt wird. Praktiken, die sonst als ‘weiblich’ oder ‘schwul’ gelten, können sich diese Männer aneignen, ohne ihre dominante Posititionen aufgeben zu müssen – sie können sich nach Lust und Laune austoben.




Anmerkungen

1 „Die Vermarktung des Andersseins verläuft bisher so erfolgreich, weil sie neue Freuden verspricht, intensiver und befriedigender als das normale Tun und Treiben. In einer Warenkultur wird Ethnizität zur Würze. Sie macht die langweilige Kost pikant, nämlich die weiße Kultur des mainstream.“ (hooks 1994:33, übersetzt von Karin Meißenburg)

2 Online unter: http://www.haagen-dazs.de/microsite/getmood.html, (zuletzt 28.6.2005)

3 “Sehr wichtig ist, dass dies die Grundlage für die gegenwärtige Geschichtsschreibung abgibt: Verführung und Sehnsucht werden betont. Dies schwächt das Leiden ab, das die Beherrschungsmechanismen denjenigen, die als die Anderen bezeichnet werden, auferlegt haben. Bei diesem Verlangen geht es nicht mehr darum, die Anderen zum eigenen Bild oder Gleichnis umzumodeln, sondern selbst zum anderen zu werden.“ (hooks 1994:38)

4 Online unter: http://www.haagen-dazs.de/microsite/swirl_choose.asp (zuletzt 28.6.2005), Hervorhebung von mir

5 http://www.haagen-dazs.de/microsite/universeof.html “society (zuletzt 28.6.2005)


Literatur


  • hooks, bell (1992): Eating the Other. Desire and Resistance, in: Black Looks. Race and Representation, Boston
  • hooks, bell (1994):Das Einverleiben des Anderen. Begehren und Widerstand, in: Black Looks. Popkultur – Medien – Rassismus, Berlin
  • Kundrus, Birthe (Hg.): Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, Frankfurt; New York
  • McClintock, Anne (1995): Imperial Leather. Race, Gender and Sexuality in the Colonial Conquest. New York; London
  • Schülting, Sabine (1997): Wilde Frauen, Fremde Welten. Kolonisierungsgeschichten aus Amerika, Hamburg

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